Leseprobe


Heute war einer der Tage, an dem Willibald in den Wald hinaus ging, um dem Bach an einer alten Eiche, nach Forellen zu wildern und auch sonst nach dem Rechten in seinem Revier zu schauen. Der Juni hatte endlich ein paar Regengüsse gebracht, die der Natur auf die Sprünge halfen und es allenorten sprießen und gedeihen ließen. Auf den Waldwegen, krabbelten Heerscharen an Junikäfern auf der Suche nach leckeren Pferdeäpfeln entlang. Der Specht hämmerte in der Ferne, ein paar freche Mücken summten ihm um den Kopf und stachen in Arme und Beine. Trotzdem war der Waldmann zufrieden mit dem Tag und dem Leben an sich. Mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen, schritt er seines Weges, die Axt auf der Schulter und die Flinte, vor den Blicken des neugierigen Jäger´s, im Rucksack versteckt. Es war schon später Nachmittag und er eilte sich, denn er wusste dass für einen Mann seiner Größe, eine tragende Wildsau zur Dämmerungszeit, eine gefährliche Begegnung war.

Um Zeit zu sparen, entschied er sich dann, eine Abkürzung zu nehmen und den Waldweg zu verlassen. Auf einem ehemaligen , schmalen Waldarbeiterpfad, der wohl schon seit dutzenden Jahren nicht mehr in Gebrauch war, stieg er auf und ab, wobei er stets darauf achtete, ob es wohl Beeren, Pilze oder ähnliches Brauchbares am Wegesrand gab. An einem schroffen Aufschluss bei Maibach machte er Rast. Er setzte sich auf ein Mooskissen, auf der Spitze des Felsen, breitete sein Tuch mit den Broten und der Trinkflasche aus und hielt eine ordentliche Mahlzeit.
Wie er da so schmatzte und schlabberte, vernahm er gut fünfzig Fuß unterhalb der Felsklippe auf der er saß, Geräusche.
Erst zaghaft dann deutlich, war das Rauschen von Blättern zu vernehmen, so wie wenn jemand umher geht oder etwas schweres über den Waldboden zieht.

Und richtig, er konnte eine Gestalt erblicken - in einem dunklen Umhang – die einen Leinensack hinter sich her zog.
Der Fremde sah ihn nicht, wie er da oben auf seinem Felsen trohnte. Es wäre auch schwer gewesen, den kleinen Mann inmitten all des Grüns auszumachen.
Der Jäger war es nicht, soviel schien schon mal klar -vielleicht ein Wilderer, mit einem Reh? Was ging´s ihn an? Willi kaute gemächlich weiter, er war nicht die Sorte, die sich um anderer Leute Angelegenheiten kümmerte. Trotzdem erweckte das Geschehen seine Neugier und da er nichts Besseres zu tun hatte, beobachtete er was unter ihm geschah.
Da plötzlich, hielt der Unbekannte in Wurfweite an. Er hob die Kapuze leicht an und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Und tatsächlich! Es rührte sich etwas, in dem alten, grauen Leinensack!
Der dunkel gekleidete Mann, brach daraufhin sofort seine Erfrischung ab und lief ein paar Schritte, die Blicke auf den Boden gerichtet umher. Als er scheinbar gefunden hatte, wonach er gesucht, bückte er sich und hob einen kräftigen, armlangen Ast vom Boden auf. Den nahm er dann, wiegte ihn prüfend in der Hand, begutachtete ihn und begab sich dann zu dem Ort an dem er den Leinensack abgelegt hatte. Dort angekommen, begann sodann mit der Kraft beider Hände, auf denselben zu schlagen und zu dreschen.
Aus dem, so geschundenen Bündel, drang jetzt mit jedem Schlag das erbärmliche Wimmern und Wehklagen wie das eine kleinen Kindes.
Willi spuckte das Brot in seinem Mund aus und fluchte. So etwas machte doch kein Mensch! Was ging hier vor sich?
Das Weinen und Jammern verstärkte sich, es wurde lauter, das Heulen und Winseln immer jämmerlicher.
Ein lang gezogenes Schluchzen und Weinen hallte durch den Wald, nur unterbrochen von dem Knallen der Asthiebe und dem, was sich wie das Krachen von Knochen anhörte.
Der Mann schlug und schlug wie wild mit aller Kraft. Das Wehklagen seines Opfers, schien ihn nicht zu stören. Nur, als der Ast dann endlich brach, kam er kurz zur Ruhe. Er keuchte vor Anstrengung, stützte sich an einen Baum und warf den Rest des Astes mit einer weitläufigen Bewegung in den Wald.
Aus dem Leinensack, drang jetzt nur noch ein weinerliches Jaulen. Ein Flehen, ein erbärmliches Wimmern, wie das Bitten um Gnade.
Willi war empört: Wer war dieser Mann und was hatte er in seinem Sack verborgen? Welche arme Kreatur wurde von diesem Unhold hier zu Tode gequält? War es Tier oder Mensch? Gar ein Kind?
Kaum hatte sich die erste Erschöpfung bei dem Fremden gelegt, da erhob sich dieser und er schien erneut den Boden nach einem Knüppel abzusuchen. Den ein oder anderen nahm er bereits zur Hand und prüfte ihn auf seine Festigkeit.
Das war nun zu viel, für den Förster Willibald Friedrich!
„Den stell ich zur Rede“,beschied er sich selbst erbost. Dann sprang Willi auf, nahm seinen sieben Sachen und eilte die Felsklippe an einer gut zugänglichen Stelle hinunter.
Er rutschte und rollte über den glatten, feuchten Fels. Schnitt sich gar an mancher scharfen Tonschieferspalte die Hände blutig auf, doch das war ihm nun gleich.
Unten angekommen, war der Fremde nur noch wenige Meter von ihm entfernt. Mittlerweile hatte er einen neuen Knüppel gefunden. Auch den prüfte er nun sorgfältig auf Festigkeit, bevor er ihn wieder mit aller Wucht gegen die arme Kreatur in seinem Sack einsetzen wollte.
Gerade, als der Kaputzenmann zum erneuten Schlag ausholte rief Willi: “Hallo, wer da?“
Der Fremde erstarrte in seiner Bewegung und drehte sich dann langsam um.
„Was machen Sie da?“, fragte Willi,“Hören Sie sofort auf!“
Er versuchte, das Gesicht des Fremden zu erkennen, doch blendete ihn der Schein, der untergehende Sonne. So konnte er nur die Silhouette des Kapuzenmannes erkennen, wie sie sich umrahmt von den letzten hellen Strahlen des Tageslichts, bedrohlich vor ihm aufrichtete.
Der Fremde hielt den Knüppel immer noch, mit beiden Händen, hoch über den Kopf erhoben.
„Sie verstehen nicht“, sagte er grimmig mit tiefer Stimme. „Es muss sein“
„Garnix muss hier sein“, sagte der Willi, unbeirrt, mit fester Stimme.
“Ich bin hier der Förster und bei mir gibt’s so Sauereien nicht.“
Willi ging an dem Fremden, der gut zwei Köpfe größer war als er vorbei, hin zu dem Sack.
„Was ist denn da drin?“, fragte er und deutete auf das zuckende Bündel auf dem Boden.
Der Fremde antwortete nicht. Stattdessen wiederholte er was er zuvor gesagt hatte: “Es muss sein..“
Willi kniete nieder, nahm sein Jagdmesser in die eine und einen Zipfel des Leinensacks in die andere Hand. Als er sich anschickte, den Sack aufzuschneiden, setzte der Unbekannte sich unvermittelt in Bewegung und rannte mit einem lautem Schrei auf ihn zu. Mit beiden Händen den Prügel wie ein Schwert erhoben - stürmte er, wie ein Berserker, auf Willi zu. Den überraschten Waldmann, traf er dann in vollem Lauf und mit ungeheurer Kraft in die Seite. Mit dem ganzen Gewicht seines Körpers, rammte er den kleinen Mann zur Seite. Durch die Wucht des Aufpralls, wurde Willi wie ein Ball quer über die Lichtung geschleudert. Am Stamm eines Tannenbaumes, endete sein Ausflug jäh und schmerzhaft.

(Aus: Sonnennacht, Geschichte: "Willibald aus dem Wald" von M.A.Buth)